Herodot, Historien I, 29-33: Solon und Kroisos: Kommentar

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1 Herodot, Historien I, 29-33: Solon und Kroisos: Kommentar Eingerückt und kursiv: für näher Interessierte 1 ἄλλοι τε... καὶ δὴ καὶ Σόλων Im Griechischen nennt man üblicherweise erst die anderen/übrigen (ἄλλοι), dann den besonderen Fall (Solon). Wir machen es meist umgekehrt. Du kannst im Deutschen ruhig so umformulieren, wie du selbst es sagen würdest. Σόλων ohne Artikel, da Solon vorher noch nicht in der Geschichte vorkam. Die Regel heißt: Artikel beim Eigennamen = bekannt oder schon genannt. Im Dt. sollte man diesen Gebrauch des Artikels nicht nachahmen; wir verwenden ihn anders. Zwischen "Thomas" und "der Thomas" besteht nur ein stilistischer Unterschied. Umgekehrt funktioniert die Regel nicht: Kein Artikel beim Eigennamen bedeutet nicht automatisch "nicht bekannt / schon genannt". Kann, muss aber nicht. Dennoch suggeriert Herodot hier, dass man zum ersten Mal von dem berühmten Solon hört. Verstärkt wird die Suggestion durch die Apposition "(irgend)ein Athener". Mit diesem Trick führt Herodot die Figur des Solon in seinen "Historien" ein; die Note ist etwa: Achtung, es wird spannend, ein neuer Akteur betritt die Bühne! Ähnlich Xenophon in seiner Anabasis an der Stelle, wo er zum ersten Mal von sich selbst spricht: "Im Heer war auch ein gewisser Xenophon aus Athen", Ξενοφῶν τις Ἀθηναῖος. 2 ὑπὸ τοῦ Κροίσου Angabe des Täters (Agens) beim Passiv. 3 ἐπεί zeitlich oder kausal: "als", "da", "weil". 5 θεαόμενον... αὐτόν αὐτόν ist indirektes Akkusativobjekt zu ἠρώταε (Konstruktion: ἐρωτάω τινά τι). θεαόμενον ist PC zu αὐτόν. Beachte, dass θεαόμενον prädikativ steht, so dass man es nicht als Attribut auffassen darf! Auch wenn kein Artikel dasteht, können wir sicher sein, weil αὐτόν ein Personalpronomen ist. Denn Personalpronomina haben genau wie Eigennamen einen "eingebauten Artikel". Zum Vergleich: αὐτὸν θεαόμενον αὐτὸν τὸν θεαόμενον τὸν θεαόμενον "ihn, nachdem er angeschaut hatte" (prädikativ zum Pronomen, PC) "ihn, der angeschaut hatte" (attributiv zum Pronomen) "den, der angeschaut hatte" (substantiviert, ohne Beziehungswort) 7 γάρ Die übliche Übersetzung "denn"/"nämlich" passt nicht immer. Besonders dann, wenn etwas begründet wird, was erst noch folgt, wie hier die folgende Frage. σοφίας τῆς σῆς σός, σή, σόν "dein", "deine", "dein" ist das Possessivpronomen. Es steht immer attributiv (hier in Stellung 2) und ist KNG-kongruent. Ebenso möglich wäre τῆς σῆς σοφίας (Stellung 1). Sehr oft nehmen die Griechen stattdessen das Personalpronomen im Genitiv: τῆς σοφίας σοῦ "der Weisheit von dir". Dieses kann als Genitivattribut frei stehen. Zum Vergleich noch einmal am Beispiel "meine Weisheit": ἡ ἐμὴ σοφία Possessivpronomen in attributiver Stellung 1 (ἡ) σοφία ἡ ἐμή Possessivpronomen in attributiver Stellung 2 ἡ σοφία μου Personalpronomen als freistehendes Genitivattribut

2 8 φιλοσοφέων "Weisheit suchend" oder "als Weisheit Suchender" ist auch in Ordnung, klingt nur nicht so schön. Es handelt sich ebenfalls um ein PC. Das Beziehungswort "du" steht diesmal nicht da, sondern ist im Prädikat enthalten. Dennoch ist es ein vollwertiges Personalpronomen. S.o. den Kommentar zu θεαόμενον... αὐτόν! Wieder zum Vergleich: (σὺ) φιλοσοφέων "du als Weisheit Suchender"; "du auf deiner Suche nach Weisheit" (prädikativ zum Pronomen, PC) σὺ ὁ φιλοσοφέων "du Weisheit Suchender"; "du, der du Weisheit suchst" (attributiv zum Pronomen) ὁ φιλοσοφέων "der Weisheit Suchende"; "der, der Weisheit sucht" (substantiviert) 9 ὀλβιώτατον echter Superlativ, nicht Elativ. Der echte Superlativ muss eigentlich den Artikel haben. Der Artikel kann aber fehlen, wenn der Superlativ prädikativ gebraucht ist, wie hier. 11 ὑποθωπεύων, ἀποκρινόμενος In der ersten Übersetzung sind die beiden PC dem Prädikat λέγει beigeordnet. οὐδέν (nicht οὐ "nicht"!): eigentlich "nichts". Hier als adverbialer Akkusativ (genauer gesagt: Acc. respectūs/limitationis) gebraucht: in keiner Hinsicht/Weise = gar nicht. Vgl. z.b. auch: τι "in irgendeiner Hinsicht/Weise" = "irgendwie" πᾶν "in jeder Hinsicht/Weise" = "ganz und gar" "ihm" ist frei ergänzt. 12 λέγει Praesens dramaticum (man kann es auch unter Praesens historicum fassen). Es bringt eine Handlung näher heran, "vergegenwärtigt" sie (verbaler "Zoom"). Wir übersetzen es üblicherweise im normalen Erzähltempus. 13 Ὦ/ὦ ("o" in der Anrede) muss nicht übersetzt werden. Τέλλον steht im Akkusativ, weil Kroisos im Akkusativ nach ihm gefragt hatte: τίνα γιγνώσκεις...; 14 τὸ λεγόμενον eig. "das Gesagte". 15 Τέλλον εἶναι Formal AcI. Man kann einen AcI ruhig genauso übersetzen wie einen doppelten Akkusativ, und umgekehrt. 17 Τέλλῳ... παῖδες ἦσαν Dativus possessivus/possessionis; eig.: "dem Tellos waren Kinder". Wir übersetzen: "Tellos hatte Kinder". πᾶσι παῖδες ἦσαν ebenso; eig.: "(ihnen) allen waren Kinder". Wir übersetzen: "(sie) alle hatten Kinder". "wiederum"/"ihrerseits" ist nur der Klarheit wegen hinzugefügt. 18 τελευτὴ τοῦ βίου λαμπροτάτη ἐγίγνετο (αὐτῳ) Ebenfalls Dativus possessivus; eig.: "ihm wurde ein herrliches Lebensende". Wir übersetzen: "Er bekam/fand ein herrliches Lebensende". "Sein" : "werden" = "haben" : "bekommen"! 21 κάλλιστα adverbialer Akkusativ. Weil ein Adverb keinen Artikel haben kann, kann man nicht formal entscheiden, ob ein echter Superlativ oder ein Elativ vorliegt. Beide Übersetzungen sind möglich.

3 22 ἐτίμαον ehrten ihn. Das Objekt ist bereits als Objekt eines anderen Verbs genannt worden (αὐτὸν Ἀθηναῖοι... ἔθαπτον) und muss nicht nochmal genannt werden. Im Dt. schon! ἐτίμαον μεγάλως *"ehrten ihn auf große Weise" funktioniert im Dt. nicht. Man muss frei übersetzen. 23 τὸν Τέλλον Eigenname mit Artikel, weil er jetzt ja bekannt / schon genannt ist. Wir müssen das im Dt. nicht nachmachen. 24 Κροῖσος s. vorige Anmerkung: Umgekehrt muss das nicht gelten; fehlender Artikel heißt nicht automatisch, dass jemand nicht bekannt ist oder noch nicht genannt wurde. δεύτερον im Wettstreit um das Glücklichsein. δοκέων muss PC sein, denn Κροῖσος hat als Eigenname einen "eingebauten Artikel" -> das Partizip steht prädikativ. 25 ὁ δέ ist das Subjekt: "der (andere) aber". Wir können ruhig den Namen einsetzen. Gerade bei häufigem Sprecherwechsel macht das den Text für uns besser verständlich. 26 Κλέοβίν τε καὶ Βίτωνα wieder im Akkusativ, weil im Akkusativ nach ihnen gefragt war: τίνα δεύτερον γιγνώσκει. τὸ γένος Akk. respectūs/limitationis: was ihre Herkunft angeht. Τούτοις... βίος... ἀρκέων ἦν... Dat. possessivus; eig.: "Ihnen war ausreichender Lebensunterhalt." Wir übersetzen: "Sie hatten ausreichenden Lebensunterhalt." Auch ῥώμη gehört noch in diese Konstruktion. 27 τοιάδε verwandt mit ὅδε, ἥδε, τόδε, weist also voraus! καὶ δὴ καί führt wieder vom Allgemeinen zum Einzelfall. Der Gedanke ist: Die beiden waren generell sehr stark, und jetzt kommt eine besondere Geschichte, die das illustriert. 28 λόγος ist ein sehr vielseitiges Wort. Es kann z.b. bedeuten: Wort, Rede, Argument, Geschichte/Erzählung ( μῦθος Sage, Legende), Sinn (einer Sache oder Behauptung), Verstand, Vernunft... Wähle die Übersetzung nach dem Kontext. Vgl. den Anfang von Goethes Faust, wo Faust eine passende Übersetzung für den Beginn des Johannes-Evangeliums sucht: Ἐν ἀρχῃ ἦν ὁ λόγος. Er ringt um dem Sinn des Worts und versteigt sich dabei so in seine eigene Welt, in der das höchste Ideal das Schaffen ist, dass er am Ende eine völlig abwegige Übersetzung wählt: Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat! Nicht dass ein falscher Eindruck entsteht: Goethe konnte locker genug Griechisch, um das zu wissen. Er ist hier bewusst ironisch: Faust schreibt in seiner Begeisterung die Bibel neu. ἧν ἑορτὴ τοῖς Ἀργείοις Dat. possessivus: eig. "den Argivern war ein Fest". Wir übersetzen: "Die Argiver hatten ein Fest". Oder freier, wie oben. τῇ Ἥρᾳ eig. "für Hera".

4 29 τὴν μητέρα Es ist impliziert, dass die Mutter die Priesterin der Hera war. Der Wagen ist als schwerer Prunkwagen zu denken. 30 παρεγίγνοντο Die relative Zeitenfolge wird im Gr. (anders als im Dt. und Lat.) nur sehr begrenzt formal ausgedrückt. Sie müssen interpretieren. 31 ὑποδυόμενοι... εἷλκον Das PC ὑποδυόμενοι ist in der Übersetzung beigeordnet. Hier wäre es wegen der Partikeln sehr schwierig, es unterzuordnen. Gerade rein temporale Verhältnisse kann man gut beiordnen. Unterordnung klingt generell umständlicher, einfach weil sie das ist. Vergleiche: Nachdem er seinen Revolver gezogen hatte, schoss er. Er zog seinen Revolver und schoss. Was klingt besser? Das soll keine Suggestivfrage sein. Mach es so, wie es dir besser gefällt! Umständlichkeit kann ja auch gewollt sein. Wichtig: Immer zuerst die Partiziphandlung übersetzen, dann die übergeordnete Handlung! Sonst passiert folgendes: *Er schoss und zog seinen Revolver. Bei nicht rein temporalen Verhältnissen setzt man am besten ein erklärendes Adverb zur übergeordneten Handlung: Indem er in Deckung sprang, entging er der Kugel. (modal) Er sprang in Deckung und entging so der Kugel. Weil der Abzug klemmte, schlug er die Waffe gegen einen Stein. (kausal) Der Abzug klemmte, darum schlug er die Waffe gegen einen Stein. Obwohl er sie gerade erst geölt hatte, klemmte der Abzug. (konzessiv) Gerade erst hatte er sie geölt, trotzdem klemmte der Abzug δὲ... διακομίζοντες... Aus einem langen Satz darf man ruhig im Dt. mehrere kürzere Sätze machen. 33 διακομίζοντες Das Präfix δια- bedeutet "ganz hindurch", "vollständig". Wir können übersetzen: "den ganzen Weg". ποιέουσι ist doppeldeutig: 3. Person Pl. Präsens Indikativ Aktiv oder Dat. Pl. des Partizip Präsens Aktiv? Es steht als PC zu αὐτοῖς. 34 τῆς πανηγύρεως ἡ πανήγυρις wird genauso dekliniert wie ἡ πόλις. (Wiederholen: πόλις, βασιλεύς!) ὑπὸ τῆς πανηγύρεως ὑπό + Genitiv gibt den Täter (Agens) beim Passiv an. αὐτοῖς... ποιέουσι Wie immer hat das Personalpronomen (αὐτοῖς) einen 'eingebauten Artikel'. Das Partizip steht dazu prädikativ. Es ist ein PC. Der Satz ist nicht ganz einfach, daher hier im Einrückverfahren: - τελευτὴ ἀρίστη ἐγίγνετο αὐτοῖς - Sie fanden (hatten) ein herrliches Lebensende (Dat. possessivus; eig. "ein herrliches L....wurde ihnen") - ποιέουσι (PC) ταῦτα - als/nachdem sie das getan hatten. 36 ἀνθρώπῳ für den Menschen (verallgemeinernd, daher kann der Artikel stehen oder auch nicht).

5 Ἀργεῖοι Namen von Völkern oder Volksgruppen stehen sehr oft ohne Artikel: Ἀθηναῖοι "die Athener", Πέρσαι "die Perser"... τῶν νεανιῶν τὴν ῥώμην τῶν νεανιῶν ist Genitivattribut und kann daher frei stehen. 37 ἐπὶ τοῖς παισίν "für ihre Söhne". Wenn das Besitz- oder Zugehörigkeitsverhältnis klar ist, steht meist einfach der Artikel als Possessivpronomen. 38 χαίρουσα μεγάλως kann man nicht wörtlich übersetzen (*"weil sie sich groß freute"). Übersetze frei. χαίρουσα... ἐπέρχομένη... ηὔχετο Das PC χαίρουσα ist dem PC ἐπερχομένη untergeordnet. Andernfalls müssten sie durch καί o.ä. verbunden sein. ἐπερχομένη ist wiederum dem Prädikat ηὔχετο untergeordnet. Als Einrückschema: - ηὔχετο - sie betete - ἐπερχομένη - nachdem sie... getreten war, - χαίρουσα - weil sie sich freute Gerade bei solchen Unterordnungsketten klingt eine Beiordnung im Dt. oft schöner. Dabei muss man von unten nach oben vorgehen! Zuerst also kommt das "unterste" Partizip, also das, welches am weitesten untergeordnet ist. Dann hangelt man sich weiter von unten nach oben: "Sie freute sich, darum trat sie vor das Götterbild und betete:..." 39 ηὔχετο bis zum Ende des Satzes Auf ηὔχετο folgt ein AcI. Κλέοβι καὶ Βίτωνι sind indirektes Objekt zu παρέχειν: - Ἡ μήτηρ ηὔχετο - Die Mutter betete, - τὴν θεὸν παρέχειν (AcI) Κλέοβι καὶ Βίτωνι, - die Göttin möge Kl. und B. schenken, - οἳ ἐτίμαον αὐτὴν μεγάλως, - die ihr große Ehre erwiesen hatten, - τοῦτο, - das, - ὃ ἀνθρώπῳ λαγχάνειν ἄριστόν ἐστι. - was für den Menschen das Beste zu erlangen ist. ἄριστον ist ein echter Superlativ. Er muss hier keinen Artikel haben, weil er prädikativ steht (hier als Prädikatsnomen). 40 ἐτίμαον μεγάλως (vgl. o. χαίρουσα μεγαλως) kann man ebenfalls nicht wörtlich übersetzen. Übersetze also frei.