Johannes und die Synoptiker Protokoll der 12. Sitzung vom 16.01.2008 1. Begrüßung und Vorstellung des Plans für die Sitzung 2. Besprechung des letzten Seminarprotokolls von Marco Winkler Der Protokollant entschuldigt sich zunächst, dass er aus technischen und zuletzt auch terminlichen Gründen keine Übersetzung zum Protokoll liefern konnte. Zum Protokoll entsteht außerdem die Diskussion, welche Angaben Becker in seinem Kommentar zu Joh 11,51 52 macht. Nach der von Herrn Pilhofer benutzten Auflage des Kommentars schreibt der Autor die Verse einer kirchlichen Redaktion zu. 1 Noch einmal wird bei der Besprechung der Seminarmitschrift bemerkt, dass es zwar richtig sei, dass Kaiphas Hohepriester um die Zeit von Jesu Auftreten war. Falsch sei jedoch, dass Hohepriester in Jerusalem nur für ein Jahr amtierten, was darauf schließen lasse, dass der Verfasser heidnische Priesterämter im Sinn hatte. 3. Referat von Anna Verweyen: Die Verhaftung Jesu (Joh 18,1 11parr) 3.1. Übersetzung von Joh 18,1 11 1 ταῦτα εἰπὼν Ιησοῦς ἐξῆλθεν σὺν 1 Nach diesen Worten ging Jesus mit τοῖς µαθηταῖς αὐτοῦ πέραν τοῦ χει- seinen Jüngern hinaus, auf die andere µάρρου τοῦ Κεδρὼν ὅπου ἦν κῆπος, Seite des Baches Kidron. Dort war ein εἰς ὃν εἰσῆλθεν αὐτὸς καὶ οἱ µαθηταὶ Garten; in den ging er mit seinen Jünαὐτοῦ. gern hinein. 2 ᾔδει δὲ καὶ Ιούδας ὁ παραδιδοὺς 2 Auch Judas, der Verräter, der ihn aus- 1 Jürgen Becker: Das Evangelium nach Johannes. Kapitel 11 21, ÖTK 4/2, Gütersloh/Würzburg 3 1991, S. 434.
2 Johannes und die Synoptiker αὐτὸν τὸν τόπον, ὅτι πολλάκις συν- lieferte, kannte den Ort, weil Jesus dort ήχθη Ιησοῦς ἐκεῖ µετὰ τῶν µαθητῶν oft mit seinen Jüngern zusammengeαὐτοῦ. kommen war. 3 ὁ οὖν Ιούδας λαβὼν τὴν σπεῖραν 3 Judas nahm die Kohorte 2 und die καὶ ἐκ τῶν ἀρχιερέων καὶ ἐκ τῶν Φα- Gerichtsdiener der Hohenpriester und ρισαίων ὑπηρέτας ἔρχεται ἐκεῖ µετὰ der Pharisäer, und er kam dorthin mit φανῶν καὶ λαµπάδων καὶ ὅπλων. Fackeln, Laternen und Waffen. 4 Ιησοῦς οὖν εἰδὼς πάντα τὰ ἐρ- 4 Jesus, der alles wusste, was mit ihm χόµενα ἐπ αὐτὸν ἐξῆλθεν καὶ λέγει geschehen sollte, ging hinaus und fragte αὐτοῖς τίνα ζητεῖτε; sie: Wen sucht ihr? 5 ἀπεκρίθησαν αὐτῷ Ιησοῦν τὸν 5 Sie antworteten ihm: Jesus, den Na- Ναζωραῖον. λέγει αὐτοῖς ἐγώ εἰµι. zoraier. 3 Er sagte zu ihnen: Ich bin es. εἱστήκει δὲ καὶ Ιούδας ὁ παραδι- Auch Judas, der Verräter, stand bei ihδοὺς αὐτὸν µετ αὐτῶν. nen. 6 ὡς οὖν εἶπεν αὐτοῖς ἐγώ εἰµι, ἀπ- 6 Als er zu ihnen sagte: Ich bin es!, wi- ῆλθον εἰς τὰ ὀπίσω καὶ ἔπεσαν χαµαί. chen sie zurück und stürzten zu Boden. 7 πάλιν οὖν ἐπηρώτησεν αὐτούς τί- 7 Er fragte sie noch einmal: Wen sucht να ζητεῖτε; οἱ δὲ εἶπαν Ιησοῦν τὸν ihr? Sie sagten: Jesus, den Nazoraier. Ναζωραῖον. 8 ἀπεκρίθη Ιησοῦς εἶπον ὑµῖν ὅτι 8 Jesus antwortete: Ich habe euch ge- ἐγώ εἰµι εἰ οὖν ἐµὲ ζητεῖτε, ἄφετε sagt, dass ich es bin. Wenn ihr mich τούτους ὑπάγειν sucht, dann lasst diese gehen! 9 ἵνα πληρωθῇ ὁ λόγος ὃν εἶπεν ὅ- 9 So sollte sich das Wort erfüllen, das er τι οὓς δέδωκάς µοι οὐκ ἀπώλεσα ἐξ gesagt hatte: Ich habe keinen von denen αὐτῶν οὐδένα. verloren, die du mir gegeben hast. 10 Σίµων οὖν Πέτρος ἔχων µάχαι- 10 Simon Petrus aber, der ein Schwert ραν εἵλκυσεν αὐτὴν καὶ ἔπαισεν τὸν bei sich hatte, zog es, schlug den Diener τοῦ ἀρχιερέως δοῦλον καὶ ἀπέκοψεν des Hohenpriesters und hieb ihm das αὐτοῦ τὸ ὠτάριον τὸ δεξιόν. ἦν δὲ rechte Ohr ab; der Diener hieß Mal- ὄνοµα τῷ δούλῳ Μάλχος. chus. 11 εἶπεν οὖν ὁ Ιησοῦς τῷ Πέτρῳ 11 Da sagte Jesus zu Petrus: Steck das βάλε τὴν µάχαιραν εἰς τὴν θήκην τὸ Schwert in die Scheide! Der Kelch, den ποτήριον ὃ δέδωκέν µοι ὁ πατὴρ οὐ mir der Vater gegeben hat, soll ich ihn µὴ πίω αὐτό; nicht trinken?
3.2. Abgrenzung des Textes Protokoll der 12. Sitzung vom 16.01.2008 3 Die Kapitel 15 17 enthalten Reden. Bemerkenswert ist, dass Joh 18,1 direkt an Joh 14,31 ( aber die Welt soll erkennen, dass ich den Vater liebe und so handle, wie es mir der Vater aufgetragen hat. Steht auf, wir wollen weggehen von hier ) anzuschließen scheint. Nach Joh 18,1 11 findet Jesu Festnahme und sein Verhör statt. Herr Pilhofer weist darauf hin, dass die Worte σπεῖρα und ξιλίαρχος in Joh 18,12 tatsächlich auf eine römische Kohorte schließen lassen. Theologisch, so die Referentin, soll dieser Sachverhalt Jesu Bedrohung aus weltlichem und geistlichem Machtbereich zeigen. 3.3 Gliederung des Textes Joh 18,1 11 V. 1: Einleitung/Exposition V. 2: Judas wird eingeführt, Begründung dafür, dass Judas den Ort kennt 4 V. 4: Jesu Initiative; Erster Dialog V. 5: Jesus offenbart sich (Judas ist passiv) V. 6: Machterweis Jesu durch sein Wort 5 V. 7: Wiederholung des Dialogs (Jesus ist wieder der Initiator, Dialog enthält ironische Momente) V. 8 9: Stellvertretung, Hirtenmotiv, Anspielung auf das Wort, das erfüllt wird (entweder Hinweis auf Joh 10,1 10 oder 17,12); Kommentar des Erzählers 2 Anm. Referentin: Der Begriff Kohorte sei ein feststehender Begriff für eine Truppeneinheit von römischen Soldaten, die in diesem Kontext unrealistisch sei. Ein Seminarteilnehmer ist der Meinung, dass hier möglicherweise nur ein Teil der 600 Mann starken Kohorte aufgetreten sein könnte. [Alles schön und gut: Aber man kann deswegen doch nicht die Übersetzung ändern! σπεῖρα heißt Kohorte, und so muß man dann auch übersetzen, ganz unabhängig davon, was man für möglich hält oder nicht. Wir sind doch hier nicht auf dem Niveau der»bibel in gerechter Sprache«oder ähnlichen abseitigen Unternehmungen sondern in einem neutestamentlichen Hauptseminar... Daher habe ich die von der Protokollantin gebotenen Übersetzung»Soldaten«in»Kohorte«geändert. P. P.] 3 Anm. Herr Pilhofer: Am Text bleiben! [D. h. hier nicht einfach das geläufigere»nazarener«einsetzen. P. P.] 4 Anm. Referentin: Dieser zweite Vers verweist auf Joh 13,21 38. 5 Anm. Referentin: soll Rangordnung festlegen.
4 Johannes und die Synoptiker V. 10: Simon handelt, obwohl die Jünger freigegeben wurden. 6 Zu Vers 10 zitiert Herr Pilhofer den berühmten Aufsatz von Michael Rostovtzeff 7. Jürgen Becker schreibt über diese Frage: Da man sich Petrus wohl kaum als Linkshänder vorstellen soll, bedeutet diese Konkretion, daß der Schlag hinterrücks erfolgte. 8 V. 11: Zurückweisung der Hilfe; Kelchwort 3.4. Motive in Joh 18,1 11 Ich-bin-Worte: Sie dienen der Offenbarung Jesu (Hinweis auf Ex 3,14). Durch die dreimalige Wiederholung im Text wird die hohe Bedeutung der Offenbarung Jesu deutlich. Jesus als Initiator: weist auf seine göttliche Macht hin (nur Judas hat evtl. ganz kurz die Initiative). πολλάκις 9 in V. 2 und V. 4: Jesus geht nicht woanders hin, obwohl er weiß, was passieren wird. Dies zeigt, dass Jesus alles freiwillig erträgt. 10 Parallelen und Unterschiede zu den Synoptikern sollen in Gruppenarbeit durch den Vergleich von Matthäus 26,47 56, Markus 14,43 52, Lukas 22,47 53 mit Johannes 18,1 11 geklärt werden. 6 Im Seminar ist man geteilter Meinung, ob hier ein Bruch in der Erzählung vorliegt. 7 [Michael Rostovtzeff: Οὖς δεξιὸν ἀποτέµνειν, ZNW 33 (1934), S. 196 199. Leider habe ich die Rostovtzeffsche These aus dem Gedächtnis falsch zitiert. Ich füge zur Berichtigung eine Passage meiner Johannes-Vorlesung hier an: Jemand aus der Begleitung Jesu hat das Schwert gezogen und dem Sklaven des Hohenpriesters ein Ohr abgehauen. Da alle Augenzeugen [sic!] den Diener des Hohenpriesters als das Opfer des feurigen Schülers Jesu bezeichnen, muß dieser Diener wohl eine bekannte Person gewesen sein... (Michael Rostovtzeff, a. a. O., S. 197). Besonders ingeniös ist nun die Deutung, die Rostovtzeff unter Hinweis auf einen ähnlich gelagerten Fall vorträgt: Was beabsichtigt war, war nicht eine schwere Verletzung, sondern ein symbolischer Akt. Es sollte gezeigt werden, daß der Gegner eine verachtete Persönlichkeit war. Es lohnte sich nicht, ihn zu verwunden oder zu töten. Genug, daß man ihm eine schmachvolle Verletzung beibrachte... (Michael Rostovtzeff, a. a. O., S. 198). Der entscheidende Punkt bei dieser Deutung ist der, daß es sich um eine nicht nur absichtliche, sondern sogar gezielte Aktion handelt: Der Jünger will dem Sklaven gezielt das rechte Ohr abhauen. P. P.] 8 Jürgen Becker: Das Evangelium nach Johannes. Kapitel 11 21, ÖTK 4/2, Gütersloh/Würzburg 3 1991, S. 648. 9 Das πολλάκις stellt im synoptischen Vergleich ein Problem dar, da Jesus dort, wenn überhaupt, nur einmal im Garten ist. 10 Es gibt mehrere Deutungen, ab wann Jesus sein Schicksal kennt. Die Referentin weist auf Joh 13,1. Es ist jedoch auch möglich, dass Jesus sein Schicksal bereits bei der Tempelreinung kannte. Darauf weist auch das Partizip εἰδώς hin, das als in dem Wissen übersetzt werden kann.
3.5. Ergebnisse aus der Gruppenarbeit Protokoll der 12. Sitzung vom 16.01.2008 5 Jesu Person: Mt: Gebetskampf, Initiative geht von Judas aus, Allmacht Jesu (Hilfe vom Vater ist möglich) Mk: Gebetskampf, unsicher, ängstlich Lk: Jesus ergreift nicht so sehr die Initiative wie bei Johannes Jh: Eigeninitiative, Machterweis Bei den Synoptikern wird Jesus nicht so göttlich geschildert wie bei Johannes. Im Gegenteil bittet er sogar darum, dass der Kelch an ihm vorübergeht. Bei Johannes fehlen: Getsemaneszene (eingeschlafene Jünger) Judaskuss (demütiges Element passt nicht zum Motiv des Initiators Jesus) Jüngerflucht; bei Johannes haben sie freies Geleit Bei Johannes ist es kein geheimer Ort, wo er festgenommen wird. Bei den Synoptikern tadelt Jesus die Hohepriester und Pharisäer dafür, dass sie ihn an einem geheimen Ort wie die Räuber festnehmen. Es besteht eine große Differenz zwischen den Texten der Synoptiker und dem Text des Johannes. Gemeinsamkeiten: Es gibt eine kleine sprachliche Überseinstimmung zwischen Joh 18,10 und Mk 14,47. Beide haben die Worte ὠτάριον und ἔπαισεν. Außerdem ist die Handlungsweise des Simon Petrus bei beiden gleich. Erst zog er das Schwert und dann schlug er das Ohr ab. Bei Johannes und Lukas wird jeweils das rechte Ohr abgeschlagen. Bei den zwei anderen Evangelisten ist es kein bestimmtes Ohr. Bei allen Evangelisten, außer bei Markus, ist es ein Jünger, der das Ohr abschlägt. 11 11 Anm. Referentin: Dies könnte darauf hinweisen, dass die Szene mit der Zeit immer konkreter wurde und somit Johannes später schrieb als die Synoptiker.
6 Johannes und die Synoptiker 4. Hausaufgabe bis zur Sitzung vom 23.01.2008 und Planung der nächsten Sitzung Der Prolog des Johannesevangeliums ist zu übersetzen (Joh 1,1 18). Am 23.01. wird zunächst Anna Verweyen ihr Referat innerhalb von 10 Minuten 12 zu Ende bringen. Dann wird Daniel Nötzold sein Referat über die Christologie im Johannesevangelium halten. Eventuell wird auch Marco Winkler schon einige Minuten zum Thema Ostern (Joh 20) referieren. Juliane Lörzer 12 [Waren wir in der Sitzung in diesem Punkt wirklich so rigoros? P. P.]