Die Entstehung der Ethik in Griechenland Die sokratische Wende 17. Oktober 2017 Milet Der Satz des Thales Thales A 12 = Aristoteles Met. 983 b Θαλῆς μὲν ὁ τῆς τοιαύτης ἀρχηγὸς φιλοσοφίας ὕδωρ φησὶν εἶναι (διὸ καὶ τὴν γῆν ἐφ ὕδατος ἀπεφήνατο εἶναι), λαβὼν ἴσως τὴν ὑπόληψιν ταύτην ἐκ τοῦ πάντων ὁρᾶν τὴν τροφὴν ὑγρὰν οὖσαν καὶ αὐτὸ τὸ θερμὸν ἐκ τούτου γιγνόμενον καὶ τούτῳ ζῶν (τὸ δ ἐξ οὗ γίγνεται, τοῦτ ἐστὶν ἀρχὴ πάντων) διά τε δὴ τοῦτο τὴν ὑπόληψιν λαβὼν ταύτην καὶ διὰ τὸ πάντων τὰ σπέρματα τὴν φύσιν ὑγρὰν ἔχειν, τὸ δ ὕδωρ ἀρχὴν τῆς φύσεως εἶναι τοῖς ὑγροῖς. Thales, der Archeget dieser Art Philosophie, sagt, es sei Wasser (deswegen legte er auch dar, dass die Erde sich auf Wasser befinde); vielleicht nahm er diese Annahme aus der Wahrnehmung, dass die Nahrung von allem feucht ist und das Warme selbst aus diesem entsteht und davon lebt (woraus es entsteht, das ist das Prinzip von allem) deswegen also kam er zu dieser Auffassung und weil die Samen von allem eine feuchte Natur haben, das Wasser aber für das Feuchte Prinzip der Natur ist.
Homer, Ilias Ξ 245f. ποταμοῖο ῥέεθρα Ὠκεανοῦ, ὅς περ γένεσις πάντεσσι τέτυκται. Die Ströme des Flusses Okeanos, der Ursprung von allem ist. Anaximander A 9 DK Ἀναξίμανδρος μὲν Πραξιάδου Μιλήσιος Θαλοῦ γενόμενος διάδοχος καὶ μαθητὴς ἀρχήν τε καὶ στοιχεῖον εἴρηκε τῶν ὄντων τὸ ἄπειρον, πρῶτος τοῦτο τοὔνομα κομίσας τῆς ἀρχῆς. λέγει δ αὐτὴν μήτε ὕδωρ μήτε ἄλλο τι τῶν καλουμένων εἶναι στοιχείων, ἀλλ ἑτέραν τινὰ φύσιν ἄπειρον, ἐξ ἧς ἅπαντας γίνεσθαι τοὺς οὐρανοὺς καὶ τοὺς ἐν αὐτοῖς κόσμους Anaximander nannte das Unbegrenzte Ursprung und Element aller seienden Dinge, indem er als Erster diese Bezeichnung für den Ursprung einführte. Er sagt, es sei weder Wasser noch ein anderes der sogenannten Elemente, sondern eine andere, unbegrenzte Beschaffenheit, aus der alle Himmel und die Kosmen in ihnen entstünden. Anaximenes A 5 DK Ἀναξιμένης [ ] μίαν μὲν καὶ αὐτὸς τὴν ὑποκειμένην φύσιν καὶ ἄπειρόν φησιν ὥσπερ ἐκεῖνος, οὐκ ἀόριστον δὲ ὥσπερ ἐκεῖνος, ἀλλὰ ὡρισμένην, ἀέρα λέγων αὐτήν διαφέρειν δὲ μανότητι καὶ πυκνότητι κατὰ τὰς οὐσίας. καὶ ἀραιούμενον μὲν πῦρ γίνεσθαι, πυκνούμενον δὲ ἄνεμον, εἶτα νέφος, ἔτι δὲ μᾶλλον ὕδωρ, εἶτα γῆν, εἶτα λίθους, τὰ δὲ ἄλλα ἐκ τούτων. Anaximenes behauptet wie jener [Anaximander], die zugrundeliegende Natur sei eine einzige und unbegrenzt; er sagt aber nicht wie jener, sie sei unbestimmt, sondern bestimmt sie, indem er sagt, es sei die Luft. Sie zeige jedoch Unterschiede in der Dichte und Lockerheit gemäß ihrer Wesenheiten: bei Auflockerung werde sie zu Feuer, bei Verdichtung zu Wind, dann zur Wolke, ferner dann Wasser, dann Erde, dann Steine, und alles andere werde daraus. Kolophon
Elea Xenophanes B 11 DK πάντα θεοῖσ ἀνέθηκαν Ὅμηρός θ Ἡσίοδός τε, ὅσσα παρ ἀνθρώποισιν ὀνείδεα καὶ ψόγος ἐστίν, κλέπτειν μοιχεύειν τε καὶ ἀλλήλους ἀπατεύειν. Alles haben Homer und Hesiod den Göttern zugeschoben, was bei Menschen Schande und Schimpf ist: stehlen und ehebrechen und einander betrügen. [Übs. Heitsch] Xenophanes B 15 DK ἀλλ εἰ χεῖρας ἔχον βόες ἵπποι τ ἠὲ λέοντες ἢ γράψαι χείρεσσι καὶ ἔργα τελεῖν ἅπερ ἄνδρες, ἵπποι μέν θ ἵπποισι βόες δέ τε βουσὶν ὁμοίας καί κε θεῶν ἰδέας ἔγραφον καὶ σώματ ἐποίουν τοιαῦθ οἷόν περ καὐτοὶ δέμας εἶχον ἕκαστοι. Doch wenn Ochsen und Pferde oder Löwen Hände hätten oder vielmehr malen könnten mit ihren Händen und Kunstwerke herstellen wie die Menschen, würden Pferde pferdeähnlich, Ochsen ochsenähnlich der Götter Gestalten malen und solche Körper bilden, wie jeder selbst gestaltet ist. [Übs. Heitsch] Protagoras frg. B 1 DK πάντων χρημάτων μέτρον ἐστὶν ἄνθρωπος, τῶν μὲν ὄντων ὡς ἔστιν, τῶν δὲ οὐκ ὄντων ὡς οὐκ ἔστιν. Aller Dinge Maß ist der Mensch, der seienden, dass (wie) sie sind, der nicht seienden, dass (wie) sie nicht sind. [Übs. Diels/Kranz]
Protagoras frg. B 4 DK περὶ μὲν θεῶν οὐκ ἔχω εἰδέναι, οὔθ ὡς εἰσὶν οὔθ ὡς οὐκ εἰσὶν οὔθ ὁποῖοί τινες ἰδέαν πολλὰ γὰρ τὰ κωλύοντα εἰδέναι ἥ τ ἀδηλότης καὶ βραχὺς ὢν ὁ βίος τοῦ ἀνθρώπου. Über die Götter allerdings habe ich keine Möglichkeit zu wissen, weder dass sie sind, noch dass sie nicht sind, noch, wie sie etwa an Gestalt sind; denn vieles gibt es, was das Wissen hindert: die Nichtwahrnehmbarkeit und dass das Leben des Menschen kurz ist. [Diels/Kranz] Platon, Gorgias 483 b φύσει μὲν γὰρ πᾶν αἴσχιόν ἐστιν ὅπερ καὶ κάκιον, τὸ ἀδικεῖσθαι, νόμῳ δὲ τὸ ἀδικεῖν. οὐδὲ γὰρ ἀνδρὸς τοῦτό γ ἐστὶν τὸ πάθημα, τὸ ἀδικεῖσθαι, ἀλλ ἀνδραπόδου τινὸς [ ]. ἀλλ οἶμαι οἱ τιθέμενοι τοὺς νόμους οἱ ἀσθενεῖς ἄνθρωποί εἰσιν καὶ οἱ πολλοί. πρὸς αὑτοὺς οὖν καὶ τὸ αὑτοῖς συμφέρον τούς τε νόμους τίθενται καὶ τοὺς ἐπαίνους ἐπαινοῦσιν καὶ τοὺς ψόγους ψέγουσιν Von Natur aus ist alles schändlicher, was auch nachteiliger ist, nämlich Unrecht zu erleiden, dem Gesetz nach aber, Unrecht zu tun. Unrecht zu erleiden ist etwas, das überhaupt einem Mann gar nicht zukommt, sondern einem Sklaven. [ ] Aber ich glaube, diejenigen, die die Gesetze erlassen, sind die Menge der schwachen Menschen. Im Hinblick auf sich selbst also und auf ihren Eigennutzen erlassen sie also die Gesetze und definieren Lob und Tadel. Cicero, Tusculanen 5, 10 Socrates autem primus philosophiam deuocauit e caelo et in urbibus conlocauit et in domus etiam introduxit et coegit de uita et moribus rebusque bonis et malis quaerere. Sokrates aber hat als erster die Philosophie vom Himmel heruntergeholt, in den Städten angesiedelt, sie sogar in die Häuser eingeführt und sie gezwungen, nach dem Leben, den Sitten und dem Guten und Bösen zu fragen. [Übs. Büchner] Sokrates (469 399)
Platon, Apologie 21 d ἔοικα γοῦν τούτου γε σμικρῷ τινι αὐτῷ τούτῳ σοφώτερος εἶναι, ὅτι ἃ μὴ οἶδα οὐδὲ οἴομαι εἰδέναι. Es scheint, dass ich eben in jenem kleinen Punkt weiser bin als dieser Mann, dass ich nicht zu wissen meine, was ich nicht weiß. Aristoteles, Eudemische Ethik 1216 b Σωκράτης μὲν οὖν ὁ πρεσβύτης ᾤετ εἶναι τέλος τὸ γινώσκειν τὴν ἀρετήν, καὶ ἐπεζήτει τί ἐστιν ἡ δικαιοσύνη καὶ τί ἡ ἀνδρεία καὶ ἕκαστον τῶν μορίων αὐτῆς. ἐποίει γὰρ ταῦτ εὐλόγως. ἐπιστήμας γὰρ ᾤετ εἶναι πάσας τὰς ἀρετάς, ὥσθ ἅμα συμβαίνειν εἰδέναι τε τὴν δικαιοσύνην καὶ εἶναι δίκαιον. Der alte Sokrates glaubte, die Tugend zu erkennen sei das Ziel, und er untersuchte, was die Gerechtigkeit sei und was die Tapferkeit und jedes ihrer Teile. Und er tat dies aus gutem Grund, denn er war der Auffassung, alle Tugenden seien Formen von Wissen, so dass Um-Gerechtigkeit-Wissen und Gerecht-Sein zusammenfallen. Zusammenfassung 1. Entstehung eines philosophischen Diskurses aus Naturspekulation (Milesier: Suche nach dem Prinzip, archē). 2. Diese ionische Aufklärung wird bald auf andere Gebiete übertragen: Xenophanes, rationale Theologie. 3. Sophisten: ethischer Relativismus; Gegensatz von Natur und Konvention (physis und nomos). 4. Sokrates: rationale Suche nach Fundament ethischen Verhaltens. 5. Tugend ist eine Form von Wissen: niemand tut freiwillig Unrecht.
Systeme hellenistischer Philosophie Die großen philosophischen Schulen 17. Oktober 2017 Aristipp (ca. 435 366) Antisthenes (ca. 455 360) Diogenes (ca. 410 324)
Plutarch, Alexander 14, 2 ἔτυχε δὲ κατακείμενος ἐν ἡλίῳ. καὶ μικρὸν μὲν ἀνεκάθισεν, ἀνθρώπων τοσούτων ἐπερχομένων, καὶ διέβλεψεν εἰς τὸν Ἀλέξανδρον. ὡς δ ἐκεῖνος ἀσπασάμενος καὶ προσειπὼν αὐτὸν ἠρώτησεν, εἴ τινος τυγχάνει δεόμενος, μικρὸν εἶπεν ἀπὸ τοῦ ἡλίου μετάστηθι. Peter Sloterdijk (*1947), Kritik der zynischen Vernunft (1983) Platon (427 347) Aristoteles (384 322) [Diogenes] lag gerade in der Sonne. Und er setzte sich ein wenig auf, weil so viele Menschen auf ihn zukamen, und blickte auf Alexander. Jener grüßte ihn, sprach ihn an und fragte ihn, ob er vielleicht etwas brauche, und er sagte: Geh mir ein wenig aus der Sonne.
Epikur (341 270) Zusammenfassung 1. Aus Anregungen des Sokrates entwickelt sein Schüler Aristipp Philosophie des Hedonismus (Kyrenaiker). 2. Antipode dazu Antisthenes und sein Schüler Diogenes: Kyniker betonen Askese und Selbstgenügsamkeit des Menschen. 3. Platon und die Akademie: Ideenlehre; Begründung für Tugend liegt in der unsterblichen Seele des Menschen. 4. Aristoteles und der Peripatos: Philosophie als Empirie; Tugend als Mittelweg zwischen Extremen (mesotēs). 5. Epikur: Anknüpfung an Aristipp: Lust als Ruhe des Körpers und Seelenruhe (ataraxia); mechanistisches Weltbild.